Helga Panten, Bonn
"England versinkt im Schnee", "Verkehrschaos in London". Die Nachrichten im Fernsehen Anfang Februar ließen schaudern. Wohl jeden der 32 Teilnehmer an der ersten Schneeglöckchen-Reise nach England, der "Galanthour 2009", vom 13. bis 18. Februar 2009 beschlichen Zweifel. Was, wenn die Schneeglöckchen unterm Schnee steckten? Oder wenn das Wetter so schlecht wäre, dass sie sich gar nicht öffneten?
Aber Freitag der 13. war den Schneeglöckchen-Freunden, die unter der Regie der Staudenfreunde Iris Ney und Michael Dreisvogt gestartet waren, gnädig. Kreidigweiß schimmerten die Cliffs of Dover. Schnee gab es nur noch hier und da in kleinen Flecken. So konnte in Hunton ad Maidstone im Garten von David und Anke Way zum ersten Mal in Schneeglöckchen geschwelgt werden. 150 Namenssorten und viele eigene Kreuzungen beherbergt der 0,5 ha große Garten, der sich rund um ein Haus aus dem späten Mittelalter gruppiert. Im hausnahen Bereich beschirmen alte Eichen die Beete voller Drifts, also üppiger Schneeglöckchengruppen, die sich mit Winterlingen abwechseln. 'Hunton Giant', eine eigene elwesii-Sorte verblüffte dort mit üppigen Horsten, die durchaus mit Narzissenlaub verwechselt werden konnten. Auch die dicht gefüllte 'Richard Ayres', das elegante graulaubige 'Silver Wells' und vieles andere ließ sich entdecken. Ein kleiner Bach durchschnitt den hinteren Gartenteil, der an eine natürliche Landschaft erinnerte und weitere Kostbarkeiten bot. Wer dabei den Überblick verlor, fand in den Metall-Herzen rechts und links der Haustür Orientierung. Dort steckten in kleinen wohl beschrifteten Reagenzgläschen die derzeit blühenden Sorten. Der Tisch mit den zum Verkauf angebotenen Pflanzen war rasch geräumt und im Bus wurde erste "Beute" verstaut.
Queenswood School nahe Hatfield lieferte am Samstag den stimmigen Rahmen für die mit Spannung erwartete Schneeglöckchen-Gala. Schneeglöckchen-Verrückte aus England, Irland, den Niederlanden, Schweden, Österreich und natürlich Deutschland drängten sich in der Aula und lauschten den Vorträgen von Bryan Hewitt und Joe Sharman über Schneeglöckchen und das Leben des Pflanzennarren und Schneeglöckchen-Liebhabers E.A. Bowles und den von ihm angelegten Park von Myddelton House. Melvyn Jope erheiterte mit seinen Erlebnissen bei der Suche nach Galanthus reginae-olgae auf Korfu. Spannung zwischen den Vorträgen baute die Versteigerung besonderer Schneeglöckchen auf. 'Whisky' wechselte für 31 Pfund den Besitzer, 'Ailwyn' für 40 Pfund. Auf 150 Pfund kletterte das Gebot für 'E.A. Bowles', ein wunderschönes poculiformes Schneeglöckchen, dessen innere Blütenblätter genauso geformt sind wie die äußeren. Danach gab es kein Halten mehr. Die Pforten öffneten sich zur "Old Pool Hall" in der die Galanthus-Anbieter auf den Ansturm der Käufer warteten. Bis Mittag waren die Tische weitgehend leer gefegt.
Myddelton House, das Anwesen des 1954 verstorbenen E.A. Bowles, stand danach auf dem Programm. Nach dem Tod seines Schöpfers lag der Park rund 30 Jahre weitgehend ungenutzt. Die Schneeglöckchen überlebten diese Zeit nicht nur. Sie verwilderten in den alpinen Wiesen und im Steingarten am Hang hinunter zum New River. Dort formen sie üppige Drifts. Zwischen ihnen entstanden im Laufe der Jahre neue, reizvolle Varianten wie das poculiforme 'E.A.Bowles', das hier seinen Ursprung hat. Entsprechend gebeugt wandelten die Galanthophilen durch die Wiesen, prüfend, diskutierend, bewundernd. Aber auch der eigentliche Park mit seinem Wechsel aus Wiesen, Gehölz- und Staudenpflanzungen rund um den großen See begeisterte die Mitglieder der Reisegruppe. Dunkelrot blühende Parrotien, Cornus 'Midwinter Fire' mit sanften rot-orange Zweigen, die kräftig orangen Früchte von Iris foetidissima, der Rosengarten mit seiner strengen Heckeneinfassung, die Blickachsen über den Teich hinweg gaben dem Park auch jetzt im Winter Spannung.
Den Garten von Beth Chatto kannten viele Reiseteilnehmer bereits. Aber wie würde er im Winter wirken? Erstaunlich lebendig stellten sie fest. Schon am Eingang im Gravel Garden leuchteten Bergenien in tiefem Rot. Phormium und Yucca setzten grüne Akzente. Silbergraue Salvien, Phlomis und Lavendel bildeten den Widerpart zum grauen Stamm des Eukalyptus. Wie ein Sonnenfleck schimmerte ein goldgelber Euonymus zwischen dunklen Zypressen- und Taxus-Säulen hervor. Inmitten dieser Farbenspiele empfing die große Garten-Lady die deutschen Gäste – wer im Winter kommt, genießt Privilegien!
Der Freude über die Begegnung mit Beth Chatto selbst stand die Atmosphäre im Park in nichts nach. Head Gardener David Ward führte die Gruppe durch den Park, der auch im Winterkleid nichts von seinem Charme, seiner Ruhe und Weite verliert. Noch deutlicher treten die Strukturen der mächtigen Eichen, der Sumpfzypressen, Birken und Zedern hervor. Zu ihren Füßen Farbigkeit in erstaunlicher Fülle: Das glühende Rot von Cornus alba sibirica, das zartviolette Grau von Rubus thibetanus, Hamamelis in goldgelbem Blütenkleid. Die Schwerter des Neuseeländer Flachs, schon im Sommer eindrucksvoll, setzten sich mächtig in Szene. Im Wäldchen grün-weiße Farbenspiele von Carex, Arum italicum, Helleborus und – wie könnte es anders sein - Schneeglöckchen.
Schneeglöckchen gab es natürlich auch beim nachmittäglichen Besuch bei Rod und Jane Leeds in Preston St. Mary in Suffolk. Aber den reizvollen Sorten wie 'Daglingworth' mit grünem Fleck und zwei grünen Punkten oder 'Daphne's Scissor' mit grünem Scherenmuster versuchten andere Frühlingszwiebeln und –knollen den Rang abzulaufen. Was kein Wunder ist, denn Rod Leeds ist Spezialist für Vorfrühlingszwiebeln und sammelt Narzissus bulbocodium, Eranthis hyemalis, Cyclamen und vieles andere mit gleicher Leidenschaft wie Galanthus. Kleine, selbst konstruierte Gewächshäuser, Glaskästen und Glasglocken, Töpfe und Gefäße sorgen dafür, dass Empfindliches auch rauere englische Wintertage überlebt. So wechselte die Szenerie rund um das uralte Haus immer wieder und führte Rarität auf Rarität vor Augen. Aber schließlich lenkten Regen und Kälte doch hin zu Jane, die die Lebensgeister mit Tee und selbstgebackenen Schneeglöckchen-Plätzchen wieder weckte.
Zur Schneeglöckchen-Zeit ist Anglesey Abbey normalerweise überlaufen. Wir dürfen am Montag hinein, an dem geschlossen ist, und bekommen eine Führung von Head Gardener Richard Todd. Den Auftakt machte "The Winter Garden", ein gewundener Weg, der immer wieder neue Ausblicke auf Stauden und Gehölze in strahlenden Winterfarben eröffnete. Unglaublich schimmerten die weißen Zweigen von Rubus cockburnianus zwischen dem glühenden Rot von Cornus alba 'Sibirica' und der Lachsfarbe von Acer pensylvaticum 'Erythrocladum' hervor. Sonnig strahlte das Goldgelb der Zweige von Salix alba 'Vitellina', die sich aus einem Teppich von dunkelroten Mahonien erheben. Matten von Carex morrowii 'Evergold', das Graugelb von Phormium tenax verstärken die Farbwirkung. Regelmäßiger Rückschnitt der Gehölze ist das Geheimnis solch winterlicher Farbenpracht.
Aber noch wartet der Höhepunkt des Winterwalks, der Birkenhain am Ende des Weges. Schneeweiß, fast gespenstisch leuchten die nackten Stämme und Zweige von Betula utilis var. jaquemontii. Dunkelrote Bergenien und dunkle Rinde verstärken die Leuchtkraft. Hin und wieder werden sie mit dem Hochdruckreiniger behandelt, verriet Richard Todd den staunenden Gästen.
Danach ging es in die Schneeglöckchen. 230 Sorten umfasst die Sammlung, die sich an den Rändern eines alten Grabens wunderbar präsentiert. Die dicht gefüllte 'Walrus' mit ihren wie ein Walross-Bart abstehenden Blütenblättern, die "mürrisch" gefleckte 'Grumpy', die perfekt gefüllte 'Ailwyn', die hier auch gefunden wurde, 'Moses' Basket' mit korbartig nach innen gekrümmten Blütenblättern, sie alle haben hier eine Heimat. Besondere Bewunderung fand natürlich 'Anglesey Abbey' ein pokuliformes Schneeglöckchen, dessen äußere und innere Blütenblätter fast gleich lang sind.
Kaum denkbar schien es, dass der Botanische Garten von Cambridge mit seinem Winter Walk danach noch begeistern könnte. Er schaffte es mühelos. Die Jahreszeit schien nicht zu stimmen, so blühte und leuchtete es entlang des Weges. Winterheide und Hamamelis, Mahonia bealii, die mit rotem Stachelsamt überzogenen Zweige von Rubus phoenicolasius, Bergenien in glühendem Rot, Cornus in Rot, Gelb und Orange, das grüne Laub und die langen Kätzchen von Garrya elliptica, sie alle mischten sich zu einer Gartenszenerie wie sie auch im Hochsommer fröhlicher nicht sein könnte. Dazu über allem der Duft der Sarcococca, der immergrünen Fleischbeere, wie sie bei uns genannt wird. Ihre unauffälligen Blütchen verströmen betörende Düfte. Nach so vielen Eindrücken bot ein Stündchen Bummeln durch Cambridge Entspannung und Erholung.
Der letzte Tag wartete mit einem Höhepunkt auf: Der Royal Horticultural Spring Show in London. Eine lange Menschenschlange wartete geduldig vor dem Eingang. Stolz trug man Schneeglöckchen-Accessoires wie Tücher und Schmuck, bis hin zur Schneeglöckchen bestickten Strickmütze. Dann ging's hinein zu Galanthus, Cyclamen, Hepatica, Helleborus und all den anderen Schönheiten des Winter- und Vorfrühlingsgartens. Mit wunderschönen Gartenszenerien machten die Aussteller Appetit auf ihre Spezialitäten.
Modellgärten an Hausfassaden angelehnt demonstrierten Gartengestaltung. Dicht umlagert der Stand der NCCPG, des National Councils for the Conservation of Plants and Gardens, dessen Londoner Sektion eine Ausstellung von Pflanzen mit schönen Winteraspekten präsentierte. Kein Wunder, dass die deutschen Galanthus-Freunde sich mit schweren Tüten vorm Bus wieder trafen.
Da wurde der nachmittägliche Besuch im Garten von Benington Lordship fast zur Erholung. Rund um das Herrenhaus, dessen Ursprünge aus der Zeit um 1700 stammen, breiteten sich Flächen mit verwilderten Galanthus aus. Weiß schimmerten die Hänge der ehemaligen Befestigungsgräben. Immer wieder mischten sich gefüllte Schneeglöckchen unter die einfachen.
Nahe am Herrenhaus führte Head Gardener Richard Webb stolz seine ständig wachsende Galanthus-Sammlung vor mit Sorten wie der stattlichen 'Mighty Atom' und der zarten 'Highdown' mit kräftig grüner Zeichnung. Danach ließ der Friedhof rund um die alte Kirche von Benington Lordship noch ein letztes Mal in Schneeglöckchen schwelgen. Zurück im Hotel schloss Joe Sharman mit seinem Schneeglöckchen-Vortrag noch vorhandenen Wissenslücken über Arten, Formen und Kultur der Galanthus. Dann hieß es packen und all die zarten Schätze sicher verstauen, damit sie am nächsten Tag heil zuhause ankommen.
Bericht:
Helga Panten, Bonn
Fotos:
Johanna Gebhardt, Bamberg und Iris Ney, Waldems-Reichenbach